Anordnung verschiedener rechteckiger Formen von denen einige blau hervorgehoben sind

Welche Organisationsformen gibt es in Unternehmen?


Business Excellence | Organisationsentwicklung
Autor: Laura Zöller | letzte Aktualisierung: 27.01.2025 



Der Begriff Organisationsform beschreibt sowohl Organisationsstrukturen wie beispielsweise die funktionale Organisation oder die Matrixorganisation, als auch Organisationskonzepte, die eher übergeordnete Managementkonzepte darstellen, wie beispielsweise das Konzept der Holakratie. Die Organisationsstruktur beinhaltet in der wissenschaftlichen Betrachtung neben der Aufbau- auch die Ablauforganisation; wir werden uns in diesem Artikel jedoch auf die Aufbauorganisation fokussieren.

 
Es gibt vielfältige Organisationsformen für Unternehmen, und gleichzeitig kann nicht pauschal beantwortet werden, welche Organisationsform die objektiv Beste ist. Ob eine Organisationsform für ein Unternehmen passend ist, hängt von diversen Faktoren ab: Beispielsweise von strategischen Zielsetzungen, der aktuellen Führungs- und Unternehmenskultur oder Industrietrends - und vielen weiteren externen und internen Faktoren. Kaum ein Unternehmen wird mit exakt derselben Organisationsform für immer erfolgreich sein. In diesem Artikel bieten wir einen Überblick über klassische und neue Organisationsformen sowie eine gesamthafte Einordnung über verschiedene Organisationsstrukturen.


Wie Sie Ihre Organisation in der Praxis erfolgreich weiterentwickeln, erfahren Sie in unserem Artikel "8 Praxistipps für erfolgreiche Organisationsentwicklung."

Inhaltsverzeichnis


1. Grundlagen und Begrifflichkeiten
     1.1 Leitungs- bzw. Liniensystem
          1.1.1 Einliniensystem
          1.1.2 Mehrliniensystem
          1.1.3 Stabsliniensystem
     1.2 Objektorientierung und leitende Dimension
     1.3 Hierarchische und horizontale Organisationsstruktur
          1.3.1 Hierarchische Organisationsstruktur
          1.3.2 Horizontale / flache Organisationsstruktur

2. Klassische Organisationsstrukturen
     2.1 Primärorganisation
          2.1.1 Funktionale Organisation
          2.1.2 Divisionale Organisation bzw. Geschäftsbereichs- oder Spartenorganisation
          2.1.3 Matrixorganisation
          2.1.4 Tensororganisation
     2.2 Sekundärorganisation
          2.2.1 Projektorganisation
          2.2.2 Prozessbasierte Organisation

3. Neue Organisationsformen
     3.1 Selbstorganisation
          3.1.1 Sociocracy: Soziokratische Organisationen
          3.1.2 Holacracy: Holakratische Organisationen
          3.1.3 Teal-Organisationen
     3.2 Netzwerkorganisationen
          3.2.1 Intra-organisationale Netzwerk-Organisationen
          3.2.2 Inter-organisationale Netzwerk-Organisationen
     3.3 Agile Organisationen
          3.3.1 Spotify-Modell
          3.3.2 SAFe - Scaled Agile Framework
          3.3.3 Haier-Modell "RenDanHeYi"

1. Grundlagen und Begrifflichkeiten


1.1 Leitungs- bzw. Liniensystem

1.1.1 Einliniensystem
Im Einliniensystem sind Stellen bzw. Mitarbeitende dem jeweiligen Vorgesetzten unterstellt. Der Vorgesetzte besitzt die klare Weisungs- und Entscheidungsbefugnis für die ihm unterstellten Mitarbeitenden.

1.1.2 Mehrliniensystem
Im Mehrliniensystem sind Stellen bzw. Mitarbeitende mehreren Vorgesetzten unterstellt. Es gilt aber das Prinzip des kürzesten Weges, d.h. Informationen werden direkt ohne lange Dienstwege weitergegeben. Die Weisungskompetenz ist hierbei jedoch wegen verschiedener Vorgesetzter nicht eindeutig.

1.1.3 Stabsliniensystem
Das Stabsliniensystem ist eine Erweiterung des Einliniensystems. Es gibt wie dort auch nur einen Vorgesetzten, dem Stellen bzw. Mitarbeitende unterstellt sind - jedoch gibt es eine Stabsfunktion, die eine beratende oder informierende Rolle bei Entscheidungen einnehmen kann. Die Stabsfunktion ist jedoch nicht entscheidungs- oder weisungsbefugt.

1.2 Objektorientierung und leitende Dimension

Organisationen können anstatt nach Funktionen auch an Objekten orientiert ausgerichtet werden - das bedeutet, dass Organisationen nach Produkten, Kundengruppen, Vertriebskanälen, Geographie oder in große Projektbereiche geordnet sind. Unterhalb der Ebene des Objektes, beispielsweise der verschiedenen Produktfamilien, werden dann die jeweils eigenständig nötigen Funktionen und Stellen angesiedelt.

1.3 Hierarchische und horizontale / flache Organisationsstruktur


1.3.1 Hierarchische Organisationsstruktur
Die hierarchische Organisationsstruktur taucht insgesamt am häufigsten auf und kann mit einer Pyramide vergleichen werden. Weisungen werden von der Spitze der Pyramide nach unten gegeben; dazwischen gibt es mehrere Hierarchiestufen und Vorgesetzte. 

Entscheidungen werden meist vom Führungsteam getroffen; ebenso können Innovationsinitiativen schwieriger aus der Belegschaft getrieben werden, je hierarchischer die Organisation agiert. Gleichzeitig gibt die eindeutige Entscheidungskette Stabilität und Zuständigkeiten sind klar definiert. Die Führungsspanne ist meist eher klein. 

Beispiele für hierarchische Organisationsstrukturen sind die funktionale oder die divisionale Organisationsstruktur.

Abb. 1: Schematisches Beispiel einer hierarchischen Organisationsstruktur

1.3.2 Horizontale / flache Organisationsstruktur
Bei einer horizontalen bzw. flachen Organisationsstruktur finden sich wenige Hierarchieebenen zwischen Geschäftsleitung und Mitarbeitenden vor. Tendenziell ist sie in flexibel arbeitenden Unternehmen anzutreffen, die verstärkt auf Selbstorganisation der Mitarbeitenden setzen, sich unter hohem Innovationsdruck befinden und eine klare Vision besitzen. 

Auch bei jungen Unternehmen bzw. Start-Ups lässt sich oftmals eine geringe Dichte an Hierarchiestufen erkennen, da für viele verschiedene Abteilungen und Führungspositionen noch nicht die passende Größe erreicht wurde und verstärkt auf Mitarbeiterbeteiligung gesetzt wird. Insofern werden in dieser Organisationsform Entscheidungen oftmals stärker gemeinschaftlich getroffen. Die Führungsspanne ist in der Regel höher als bei hierarchischen Organisationen.

Je nach Ausgestaltung kann eine Matrix- oder Tensororganisation eine flache Organisationsstruktur haben. Es gibt jedoch auch hier Ausprägungen mit vielen Führungsebenen, die trotz der vernetzten Matrixstruktur stärker pyramidal aufgebaut sind. Landläufig wird häufig auch agilen Organisationen eine flache Hierarchie zugesprochen. Jedoch liegt in vollständig agil und selbstorganisiert arbeitenden Organisationen eine gänzlich andere Art der Hierarchie vor - die Verantwortung wird auf Teams und neue Rollen aufgeteilt.

Abb. 2: Schematisches Beispiel einer horizontalen Organisationsstruktur

2. Klassische Organisationsformen


2.1 Primärorganisationen

Die Primärorganisation verantwortet das Kerngeschäft des Unternehmens und führt wiederkehrende Aufgaben durch. Die folgenden Organisationsformen stellen verschiedene Ausprägungen einer klassischen Primärorganisation dar.

2.1.1 Funktionale Organisation
In der funktionalen Organisation sind die Einheiten nach ähnlichen Aufgabenbereichen bzw. Funktionen gegliedert - beispielsweise in Marketing, Vertrieb, Controlling oder Personalwesen. Es liegt eine klare Hierarchie vor. Die Geschäftsführung hat dabei zur Aufgabe, die unterschiedlichen Funktionen zu koordinieren.

Jeder Mitarbeitende hat einen klaren Vorgesetzten, der Arbeitsaufträge vergibt und Anweisungen erteilt - es handelt sich also um ein Einliniensystem. Entscheidungen werden in der Regel vertikal innerhalb der Hierarchieebenen getroffen; Informationen fließen ebenfalls vertikal von oben nach unten oder von unten nach oben. 

Die funktionale Organisationsform ist insbesondere für kleinere bis mittelgroße Unternehmen relevant, die in einem relativ stabilen Geschäftsumfeld agieren, demnach verstärkt effizienzfokussiert arbeiten können und dabei meist stark spezialisiert sind. Für volatile Umfelder kann es in einer funktionalen Organisation schwieriger sein, zeitnah die nötigen Anpassungen vorzunehmen.

Teilweise gibt es auch funktionale Organisationen, welche um Stäbe ergänzt sind. In diesen Stabslinienorganisationen werden Funktionen Stabstellen zugeordnet, die eine beratende Rolle einnehmen und nicht weisungsbefugt sind. Ziel ist es dabei, die Führungsinstanzen zu entlasten, beispielsweise, indem die Stabstelle Entscheidungen vorbereitet.

Beispiele für funktionale Organisationen sind spezialisierte Mittelständler, aber auch öffentliche Institutionen wie Bundeswehr, Polizei oder Organe der öffentlichen Verwaltung.

Abb. 3: Beispiel einer funktionalen Organisation mit Stabslinienorganisation

2.1.2 Divisionale Organisation bzw. Geschäftsbereichs- oder Spartenorganisation
Divisionale Organisationen sind nach Sparten, Geschäftsbereichen oder Divisionen aufgestellt und zumeist als Einlinien- oder Stabliniensystem organisiert. Im Gegensatz zur funktionalen Organisation wird nicht nach Arbeitsbereichen, sondern nach Objekten aufgeteilt - beispielsweise nach Produktbereichen, Regionen, Kunden(gruppen) oder Vertriebskanälen.

Oftmals haben die unterschiedlichen Divisionen P&L-Verantwortung und sind insofern eigenständige Geschäftseinheiten, die relativ autonom entscheiden können. Diese Flexibilität erhalten sie dadurch, dass sie eigene interne Strukturen wie beispielsweise eigene Entwicklungsabteilungen oder Personalabteilungen besitzen und insofern dynamisch auf Markt- und Kundenanfordernisse reagieren können.

Die Geschäftsleitung trifft strategische Entscheidungen auf übergeordneter Ebene und koordiniert die einzelnen Divisionen. Diese Organisationsform ergibt insbesondere dann Sinn, wenn ein Unternehmen ein breit gefächertes und heterogenes Produktangebot aufweist. Meist geht dies mit einer größeren Unternehmensgröße einher. Teilweise kommt diese Organisationsform auch bei einer Post-Merger Integration zum Tragen, da zugekaufte Unternehmen nicht immer vollständig integriert, sondern teilweise als eigener Geschäftsbereich weitergeführt werden.

Divisionale Organisationen finden sich beispielsweise bei Großkonzernen wie Procter & Gamble wieder, welche nach Produktbereichen aufgeteilt sind.

Abb. 4: Beispiel einer divisionalen Organisation

2.1.3 Matrixorganisation
In der Matrixorganisation finden sich Elemente sowohl aus der funktionalen als auch aus der divisionalen Organisationsstruktur wieder. Wie der Name sagt, sind die Mitarbeitenden hier in zwei Dimensionen organisiert und sitzen in der Schnittstelle von den zwei Dimensionen bzw. Matrixbereichen. Beispielsweise können sie auf der vertikalen Ebene einer funktionalen Einheit wie dem Controlling angehören und gleichzeitig auf horizontaler Ebene einem spezifischen Produktbereich, einer Kundengruppe oder einem anderen Objekt. 

Dies bedeutet auch, dass die Mitarbeitenden an zwei Vorgesetzte berichten. Deshalb wird hier auch von einem Mehrliniensystem gesprochen. Der Mitarbeitende ist also nicht eindeutig einem einzigen Bereich zuordenbar. Entscheidungen müssen in der Schnittstelle von beiden Bereichen und beiden Vorgesetzten gemeinsam getroffen werden; ebenfalls gibt es auch zwei weisungsbefugte Instanzen.

Ziel ist es, durch die so entstehende Kombination von Fachwissen aus den funktionalen Einheiten und objektspezifischen Einheiten (beispielsweise Produktgruppen) Synergieeffekte zu erzeugen und eine höhere Flexibilität und Kreativität zu erzielen. Die starke cross-funktionale Zusammenarbeit in der Matrixorganisation zieht gleichzeitig meist eine erhöhte Komplexität durch den größeren Kommunikations- und Abstimmungsbedarf an den Schnittstellen nach sich.

Besonders häufig findet die Matrixorganisation in international agierenden Unternehmen Anwendung, welche stärker projektbasiert arbeiten oder dynamische Marktsituationen vorfinden und flexibel arbeiten müssen. Beispiele für Unternehmen, die in Matrixorganisationen agieren, sind beispielsweise Siemens, Nike oder auch die US-amerikanische Luft- und Raumfahrtbehörde NASA.

Abb. 5: Beispiel einer Matrixorganisation

2.1.4 Tensororganisation
Die Tensororganisation ist eine mehrdimensionale Organisationsform - also eine spezifische Art der Matrixorganisation, die um eine dritte Dimension erweitert ist. Sie ist insofern deutlich komplexer, kann aber durch den Einbezug der dritten Dimension flexibler auf neue Konstellationen am Markt reagieren. Wissensaustausch und cross-funktionale Zusammenarbeit werden in dieser Organisationsform stark gefördert.

Ein Unternehmen mit Tensororganisation kann beispielsweise nach Funktionen, Produkten und geografischen Märkten unterteilt sein. In dieser spezifischen Art von Mehrlinienorganisation ist es also möglich, dass Mitarbeitende drei Vorgesetzte haben. Dies ist nicht zu verwechseln mit einer regulären Matrixorganisation, welche beispielsweise nach Funktion und Produkt aufgestellt ist und jedoch internationale Landesgesellschaften betreibt. Das Kriterium sind dreifache Reporting-Linien.

Die Tensororganisation findet zumeist bei großen, global agierenden Konzernen Anwendung. Gleichzeitig wird sie wegen ihrer hohen Komplexität und zuweilen schwierigen Abstimmungsarbeit insgesamt eher selten genutzt. Innerhalb der Mehrlinienorganisationen ist die klassische Matrix die häufigste Organisationsstruktur.

Abb. 6: Beispiel einer Tensororganisation

2.2 Sekundärorganisationen

Sekundärorganisationen entstehen oftmals, wenn Situationen auftreten, die nicht innerhalb der regulären Organisation bzw. der Primärorganisation abgebildet werden können. Dies können zeitlich klar abgegrenzte Sonderthemen wie Projekte sein.

2.2.1 Projektorganisation
Durch dynamische Markt- und Technologieentwicklungen arbeiten viele Unternehmen zunehmend in projektbasierter Weise, d.h. es handelt sich um die Bearbeitung eines Themas, das einmalig abläuft und dabei Anfang und Ende besitzt. In derlei Situationen kann es sinnvoll sein, neben der Haupt-Organisationsform noch eine parallel existierende Projektorganisation einzuführen. Es gibt drei verschiedene Arten von Projektorganisationen: 


  • Autonome (reine) Projektorganisation
  • Matrix-Projektorganisation
  • Stablinien-Projektorganisation


In der autonomen Projektorganisation werden Mitarbeitende für ein Projekt komplett aus der Haupt-Organisation herausgelöst. Dadurch sind sie rein für das Projekt zuständig und nur der jeweilige Projektleiter ist weisungs- und entscheidungsbefugt für die Projektmitarbeitenden.

Abb. 7: Beispiel einer autonomen Projektorganisation

In der Matrix-Projektorganisation werden Projektmitarbeitende zusätzlich dem Projekt sowie dem Projektleiter zugeordnet, sind jedoch noch immer Teil der Haupt-Organisation. Die disziplinarische Führung liegt noch immer bei der Führungskraft der Haupt-Organisation; die fachliche Führung wird auf die Führungskraft der Haupt-Organisation und den Projektleiter aufgeteilt. Dies bedeutet auch, dass die Mitarbeitenden neben der Projektarbeit weiterhin an ihren regulären Aufgaben arbeiten.

Abb. 8: Beispiel einer Matrix-Projektorganisation

In der Stablinien-Projektorganisation erhält der Projektleiter eine Stabstelle, die an die Geschäftsleitung berichtet. Er ist weiterhin in seiner regulären Funktion tätig und hat gegenüber den regulären Mitarbeitenden, die am Projekt mitwirken, kein Weisungsrecht. Dadurch, dass das Projekt jedoch direkt bei der Geschäftsleitung angesiedelt ist und diese die nötige Entscheidungs- und Weisungskompetenz besitzen, können auch mit dieser Organisationsform erfolgreich Projekte durchgeführt werden.

Abb. 9: Beispiel einer Stablinien-Projektorganisation

2.2.2 Prozessbasierte Organisation
In der prozessbasierten Organisation werden entlang der Schritte eines Haupt-Prozesses Abteilungen gebildet. Diesen werden dann die Mitarbeitenden zugeteilt. Da die Abteilungen bzw. Prozessschritte einander zuarbeiten, kann erst mit der Arbeit begonnen werden, wenn der vorherige Prozessschritt abgeschlossen ist.

Ein Prozess bezieht sich hierbei auf die tatsächlichen Kernaktivitäten und die maßgeblichen Wertschöpfungstreiber für den Kunden des Unternehmens und ist als eigenständige Einheit zu betrachten. Es handelt sich also um End-to-End (E2E)-Prozesse wie beispielsweise Concept-to-Launch oder Order-to-Delivery. Jeder Prozess besitzt einen klaren Prozessverantwortlichen und besteht aus Mitarbeitenden verschiedener Fachrichtungen, die nötig sind, um den Prozess möglichst wertstiftend durchzuführen. Der Kunde bzw. die Wertschöpfung für den Kunden ist das Zentrum dieser Organisationsform.

Abb. 10: Beispiel einer prozessbasierten Organisation

3. Neue Organisationsformen


Derzeit in aller Munde sind neue Organisationsformen, bei denen beispielsweise verstärkt auf Selbstorganisation und agile Methoden und Praktiken gesetzt wird. Grundsätzlich herrscht in der Wissenschaft noch kein Konsens über genaue Strukturmodelle und empirisch hinterlegte Vor- und Nachteile, dennoch kristallisieren sich einige Organisationsformen und -strukturen heraus, die wir im weiteren Text näher beleuchten werden.

Es ist zu beobachten, dass in vielen Branchen eine deutlich höhere Dynamik als in früheren Jahrzehnten herrscht - sie sehen sich einer VUCA-Welt gegenüber:

  • Volatility (Volatilität)
  • Uncertainty (Unsicherheit)
  • Complexity (Komplexität)
  • Ambiguity (Ambiguität)

 
Als Steigerung dessen wird auch von einer BANI-Welt gesprochen:

  • Brittle (brüchig)
  • Anxious (verunsichert)
  • Nonlinear (nicht linear)
  • Incomprehensible (unverständlich)

 
Deshalb setzen einige Unternehmen vermehrt auf neue Organisationsformen, um dieser neuen Komplexität mit Anpassungsfähigkeit, Resilienz und Innovation entgegenzutreten. Bei modernen Organisationsformen wird oft stärker auf die Selbstorganisation der Mitarbeitenden gesetzt, die in der Regel in Teams mehr oder weniger ohne klassische Führung arbeiten. Außerdem hält eine deutlich stärkere Netzwerklogik Einzug bei vielen Unternehmen. 

Wir beschreiben im Folgenden Formen der Selbstorganisation, Netzwerkorganisationen und agile Organisationsformen getrennt voneinander, um besser auf die jeweiligen Details eingehen zu können - in der Realität sind dies nicht zwangsläufig getrennte Organisationsformen, sondern gehen vielmehr ineinander über, sodass beispielsweise in agilen Organisationen Formen der Selbstorganisation oder der Netzwerkorganisation angewendet werden.

3.1 Selbstorganisation

In einer selbst organisierten Organisation gibt es keine klassische Hierarchie oder Führung wie oben in der steilen oder auch flachen Hierarchie beschrieben. Das bedeutet aber nicht, dass es in selbstorganisierten Organisationen keine Regeln gibt - es gibt zwar kein allgemeingültigen Regeln, aber Prozesse und Ordnungsprinzipien sind wichtige Bestandteile der Selbstorganisation. 

Oftmals werden Rechte und Pflichte der Mitarbeitenden genau fixiert. An die Stelle einer Führungskraft treten gänzlich neue Rollen; Team treffen Entscheidungen gemeinsam. Die Entscheidungsgewalt ist insofern verteilter oder dezentraler allokiert als in der klassischen Hierarchie. Steuerung und Führung geschieht in selbstorganisierten Unternehmen eher in Kreisen und Netzwerken.

Während Selbstorganisation für viele Mitarbeitende motivierend wirken und die Flexibilität einer Organisation erhöhen kann, so ist gleichzeitig beobachtbar, dass Mitarbeitende sich teilweise überfordert fühlen und Entscheidungen durch Konflikte deutlich länger dauern können als in klassisch geführten Organisationen.

3.1.1 Sociocracy: Soziokratische Organisationen
Die Sociocracy oder Soziokratie bzw. Soziokratische Kreismethode ist eine Organisationsform, die verstärkt auf Prinzipien der Selbstorganisation basiert. In der Soziokratie herrscht der Grundsatz, dass alle Mitglieder einer Organisation gleichwertig und gleichberechtigt sind. Kommunikation, Transparenz und Kooperation sind von höchster Bedeutung. Laut Soziokratie werden die Menschen durch die Möglichkeit, eigene Entscheidungen zu treffen, stärker motiviert als in klassischen Organisationsformen. Eine klassische Hierarchie gibt es nicht, Entscheidungen werden in unterschiedlichen Gruppen verteilt jeweils im Konsens getroffen.
 
In der Soziokratie werden folgende vier Prinzipien zugrunde gelegt:
 

  • Kreisorganisation: Entscheidungen werden in miteinander verbundenen Kreisen getroffen. Kreise haben jeweils ein gemeinsames Ziel, das erreicht werden soll. Entscheidungen über Elemente, die ausschließlich den eigenen Kreis betreffen, werden ausschließlich in diesem Kreis getroffen. Hat die Entscheidung Auswirkungen auf einen anderen Kreis, so hat dieser ein Mitspracherecht.


  • Doppelte Kopplung der Kreise: Es gibt neben den Kreisen übergreifende, koordinierende Gremien, welche die Kreise miteinander verbinden. So soll eine Koordination zwischen den Kreisen gewährleistet werden und es wird sichergestellt, dass alle Kreise das Gesamtziel der Organisation unterstützen. In den übergreifenden Gremien finden sich Vertreter aus den Kreisen wieder, ebenso finden sich Vertreter aus den übergreifenden Gremien in den Kreisen wieder. Dies ist die doppelte Kopplung bzw. Verknüpfung der Kreise.


  • Konsent: Wenn das Ziel des jeweiligen Kreises durch einen Vorschlag explizit nicht erreicht werden kann, gilt dies als Einwand. Alle Einwände müssen gehört werden. Eine Entscheidung gilt als getroffen, wenn ein Konsent erreicht wurde - wenn es also keine maßgeblichen Einwände gibt, die dem Erreichen des Kreiszieles entgegen stehen.


  • Offene Wahl: In den Kreisen wird im Konsent gewählt, welche Personen welche Funktionen und Aufgaben im Kreis ausübt. Davor gibt es eine offene Diskussion.

 
Der Top-Kreis kann am ehesten mit einer Geschäftsleitung verglichen werden. Entscheidungen werden dort jedoch im Konsent getroffen. Darüber befindet sich der allgemeine Kreis. Dieser beinhaltet jeweils die Leiter und Delegierten aus den Abteilungskreisen. Bei der operativen Arbeit innerhalb der Abteilungskreise mag es dann sinnvoll sein, weitere Unterkreise - vergleichbar mit Teams - zu bilden. Hierfür gibt es jedoch keine Vorschriften; weitere Unterkreise sollten nach Bedarf gebildet werden.

Abb. 11: Beispiel einer soziokratischen Kreisorganisation

3.1.2 Holacracy: Holakratische Organisationen
Die Holacracy oder Holakratie basiert auf dem Grundgedanken den Sociocracy und wurde 2007 von Brian Robertson entwickelt. Während Soziokratie und Holakratie beide zum Ziel haben, Hierarchien ab- und Selbstorganisation aufzubauen, gibt es bei der Holakratie im Gegensatz zur Soziokratie ein klares, standardisiertes Regelwerk: die "Holakratieverfassung". Diese verteilt Rollen, jedoch keine eindeutigen Führungspositionen wie in einer klassischen Hierarchie. Stattdessen sollen die Mitarbeitenden motiviert werden, ihre eigenen Ideen in die Organisation einzubringen.

Die Holakratie stellt ein dezentrales Managementmodell dar. Innerhalb dieses Managementmodells können Mitarbeitende verschiedene Rollen gleichzeitig innehaben, und eine schnelle Anpassung, Abschaffung oder Neuerstellung von Rollen ist möglich und gewünscht.

Ähnlich wie in der Soziokratie werden Mitarbeitende in der Holakratie stark motiviert, Eigenverantwortung übernehmen und sich einzubringen, das Unternehmen kann flexibel und agil agieren und Entscheidungen werden transparent getroffen. Gleichzeitig müssen sie sich, auch wegen der fehlenden formalisierten Führung, sehr strikt an das Regelwerk, dahinterliegende Prozesse, Meetings und Rollen halten, damit die Holakratie funktioniert.

Die Aufbauorganisation folgt dabei einem Kreismodell. Ein Super-Kreis - beispielsweise Marketing - besteht dabei aus mehreren Rollen, sogenannte Sub-Kreise. Sub-Kreise stellen komplexere Unterthemen eines Super-Kreises dar, beispielsweise Digitale Werbung innerhalb des Marketing. Innerhalb eines Sub-Kreises gibt es dann wieder einzelne Rollen, beispielsweise ein Social Media-Content Creator. 

Jeder Kreis, egal ob Sub-Kreis oder Super-Kreis, verfolgt klare Ziele und Aufgaben. Dabei darf ein Sub-Kreis in seinem Verantwortungsbereich selbstorganisiert agieren, darf sich jedoch auch ausschließlich innerhalb dieses vom Super-Kreis auferlegten Verantwortlichkeiten bewegen. Insofern liegt bei der Holakratie zwar durch die dezentralen Managementrollen keine klassische Hierarchie, sehr wohl jedoch eine Top-Down definierte Organisation vor.
 
Um eine Vernetzung innerhalb des Super-Kreises sicherzustellen, ist ein die Rolle des "Circle Rep" (früher "Representative (Rep) Link") dafür verantwortlich, den Link zum übergeordneten Super-Kreis zu schließen. Der Circle Rep soll insbesondere Probleme oder Unklarheiten, die der jeweilige Sub-Kreis nicht auf seiner Ebene lösen kann, mit seinem Super-Kreis lösen und beseitigen.

Innerhalb eines Sub-Kreises sorgt der "Circle Lead" (früher "Lead Link") dafür, dass intern klare Prioritäten, Zielsetzungen und Strategie festgelegt sowie Rollen und Ressourcen innerhalb des Sub-Kreises eindeutig verteilt sind.

Abb. 12: Beispiel einer holakratischen Kreisorganisation

3.1.3 Teal-Organisationen
Frederic Laloux beschreibt in seinem Buch "Reinventing Organizations" aus 2014 eine Art von Unternehmen, die im von ihm entwickelten Stufensystem auf der höchsten Stufe stehen - der "Teal Organization". Teal steht hierbei für das englische Wort für die Farbe Petrol. Insgesamt gab es im System von Laloux sieben Stufen von Organisationen, wovon fünf weiterhin Bestand haben:

  • Rote Organisationen werden mit Wolfsrudeln oder auch Straßengangs verglichen. Es gibt einen starken Anführer, der autoritär handelt und teilweise auch Angst verbreitet. Es herrscht eine klare Arbeitsteilung.


  • Bernstein-Organisationen besitzen bereits formellere Systeme, Prozesse und Rollen, bei denen vor allem Status und Hierarchie im Vordergrund steht. Eine Analogie kann hier das klassisch organisierte Militär darstellen.


  • Orangene Organisationen sind meritokratisch organisiert, d.h. nicht Status, sondern Leistung steht im Mittelpunkt. Damit einher geht oftmals auch ein höheres Konkurrenzdenken. Es gibt jedoch beispielsweise bereits systematische Innovationsprozesse und Verantwortlichkeiten werden teilweise innerhalb der Organisation geteilt.


  • Grüne Organisationen sind dabei noch immer hierarchisch und in pyramidenform organisiert, stellen aber das Wohlbefinden der Mitarbeitenden, Kunden und sonstiger Stakeholder des Unternehmens in den Mittelpunkt. Mitarbeitende werden stark befähigt; Werte und Purpose rücken in den Vordergrund. Die Familie stellt hier eine adäquate Analogie dar.


  • Die Teal-Organisation wird als höchste Evolutionsstufe innerhalb des Systems bezeichnet. Es gibt keine klassische Pyramide mehr, sondern ähnlich wie in Soziokratie oder Holakratie ein Kreissystem. 


Teal-Organisationen zeichnen sich demnach durch drei Kernfaktoren aus:


  1. Sie sind stark selbst gemanagt ("self management") und demnach ähnlich wenig hierarchisch wie in der Soziokratie oder der Holakratie. Mitarbeitende besitzen hohe Entscheidungsfreiheiten.
  2. Sie leben ein ganzheitliches Menschenbild ("wholeness"), in welchem die Menschen im Unternehmen beispielsweise auch Emotionen zeigen dürfen.
  3. Sie befinden sich in einer stetigen Evolution hin zum Purpose ("evolutionary purpose") bzw. dem ausformulierten Sinn und Zweck des Unternehmens.

 
Laloux beschreibt dabei, dass es bei seinem System nicht um eine Wertung geht, und dass jedoch die Teal-Organisation komplexer erreichbar und die Organisationsform der Zukunft sei. Teal-Organisationen arbeiten stetig an sich weiter und können zudem Vorreiter im Bereich New Work sein. Während Kritiker bemängeln, dass das von Laloux beschriebene System zu idealistisch sei, hat es bereits an vielen Stellen als Inspirationsquelle in der Organisationsentwicklung gedient. Funktionierende Teal-Organisationen sind höchst anpassungsfähig und agil.

Abb. 13: Teal-Organisation nach Laloux, Reinventing Organizations (2014)

3.2 Netzwerkorganisationen

Grundsätzlich gibt es zwei Archetypen innerhalb der Netzwerkorganisationen: Intra-organisationale Netzwerke innerhalb eines Unternehmens und inter-organisationale Netzwerke zwischen verschiedenen Unternehmen und Organisationen.

Bei allen Netzwerkorganisationen wird verstärkt auf Kooperation gesetzt, d.h. Mitarbeitende, Teams oder ganze Organisationen arbeiten auf ein gemeinsames Ziel hin. Damit diese Kooperation möglich ist, muss miteinander kommuniziert werden können. Dies klingt im ersten Moment selbstverständlich, doch verhindert oftmals Silodenken innerhalb von Unternehmen ein solch übergreifendes Handeln. Das Denken in ganzen Unternehmens-Ökosystemen, bei denen mit Lieferanten, Kunden und teilweise auch Konkurrenten oder beispielsweise Forschungsinstitutionen zielgerichtet in einem Wertschöpfungsnetzwerk zusammenarbeiten, ist ebenfalls in vielen Organisationen noch nicht verbreitet.

Da jedoch die eingangs erklärte VUCA- bzw. BANI-Welt häufig vielfältige Herausforderungen und Anforderungen an Unternehmen gestellt werden, kann ein Netzwerk aus Organisationen, sei es innerhalb des eigenen Konzerns oder mit externen Parteien, oftmals dabei helfen, für alle Parteien einen Nutzen zu erwirken. Der erzielte Nutzen kann dabei vielfältig sein - von finanziellen Skaleneffekten über die Steigerung der Innovationsfähigkeit.

Gleichzeitig muss für eine erfolgreiche Netzwerkorganisation ein gemeinsam unterstütztes Ziel und gegenseitiges Vertrauen sowie Lernbereitschaft bestehen und mittel- bis langfristig ein Nutzen für alle Parteien des Netzwerkes generiert werden. Selbstverständlich birgt eine Netzwerkorganisation auch Risiken, wie beispielsweise Zielkonflikte. Sie kann außerdem koordinativen Aufwand verursachen. Gleichzeitig kann sie bei aktivem Management und stetiger Reflektion von Zielen und Handlungen eine hilfreiche zusätzliche Organisationsform in komplexen Umfeldern sein.

3.2.1 Intra-organisationale Netzwerk-Organisationen
Innerhalb eines Unternehmens können intra-organisationale Netzwerke beispielsweise mit übergreifenden Forschungs- und Entwicklungsinitiativen für Innovation sorgen, Skaleneffekte im Einkauf erzielen oder der Wissensaustausch und -Aufbau im Unternehmen gesteigert werden. Je nach Ausprägung kann es sich um eine Sekundärorganisation handeln, welche zusätzlich zur hierarchischen Primärorganisation besteht. 

Es gibt jedoch auch vollständig ausgeprägte Netzwerkorganisationen als Primärorganisation, die wenig hierarchisch, sondern wie bereits oben beschrieben, verstärkt kollaborativ, selbstorganisiert und dezentral aufgebaut sind. Hier kollaborieren dann Mitglieder aus den verschiedenen Netzwerken beispielsweise projektbezogen und wie benötigt miteinander.

Abb. 14: Beispiel einer dezentralen Netzwerkorganisation

3.2.2 Inter-organisationale Netzwerk-Organisationen
Zwischen Organisationen und Unternehmen bestehende inter-organisationale Netzwerke können organisatorisch beispielsweise in Joint Ventures, virtuellen Organisationen oder strategischen Netzwerken ausgeprägt sein. Sie können aber ebenfalls im Sinne einer gesamthaften Ökosystembetrachtung weniger formalisiert existieren. 

Von Marketingkooperationen hin zu Entwicklungsinitiativen sind hierbei vielfältige Konstellationen denkbar. Diese Netzwerke können eine leitende Organisation besitzen oder aber alle gleichgestellt sein. In der Darstellung ist ein Beispiel für ein geschlossenes inter-organisationales Netzwerk abgebildet, in welchem die Mitglieder gleichgestellt integriert sind.

Abb. 15: Schema eines inter-organisationalen Netzwerks

3.3 Agile Organisationen

Das Thema der Agilität wird schon seit einiger Zeit viel diskutiert. Doch was bedeutet es eigentlich im Organisationskontext, agil zu sein? Agile Unternehmen können sich strukturell und prozessual flexibel auf veränderte Rahmenbedingungen einstellen und durch verschiedene Grundprinzipien, unter anderem die verstärkte Selbstorganisation von Teams und Mitarbeitenden, nicht nur reaktiv, sondern proaktiv gestaltend im Markt tätig sein.

Dabei sind agile Methoden hilfreich und wichtig, betreffen jedoch eher die Ablauforganisation. Gesamthaft betrachtet ist Agile kein Tool, das man "installieren" kann, sondern stellt vielmehr eine ganzheitliche Denkweise dar. Agile Organisationen zeichnen sich durch agile Werte und das dahinterstehende agile Mindset aus. Bereits im 2001 erschienenen "Manifesto for Agile Software Development" werden Individuen und deren Interaktionen eindeutig Prozessen und Tools vorgezogen.

Agile Unternehmen arbeiten mit Grundwerten, die zusammen die Basis für eine agile Organisation bilden. Zusammengefasst sind folgende Werte in agilen Organisationen von hoher Bedeutung:

  • Kundenzentrierung und Wirkungsfähigkeit
    Prozesse und Organisation sind darauf ausgerichtet, den höchsten Mehrwert für den Kunden zu generieren. Hierbei wird beispielsweise oftmals auf direktes Kunden- oder Nutzerfeedback zurückgegriffen; es wird systematisch User Research und Customer Research durchgeführt. Customer Journeys zeigen den Weg, den der Kunde bei der Hinleitung zu und beim Erleben des Produktes oder der Dienstleistung durchläuft. Grundsätzlich soll die Wertschöpfung im Vordergrund stehen; maximal wertunterstützende Aktivitäten wie (komplexe) Reportings oder Dokumentationen werden vermieden.


  • Wertorientierung und Vision
    Agile Organisationen verfolgen eine eindeutige, klar formulierte und stetig verfolgte Vision, die sie mit ihrem Unternehmen und den Produkten erreichen wollen sowie eine deutliche Mission, um die Vision zu erreichen. Das Handeln wird darauf ausgelegt, die Vision zu erreichen. Gleichzeitig gibt die Vision die Leitplanken vor. Vision und Mission werden im Sinne der kontinuierlichen Verbesserung stetig auf ihre Sinnhaftigkeit hinterfragt und ggf. angepasst.


  • Selbstorganisierte Teams und agile Führung
    Grundsätzlich gilt in selbstorganisierten Teams bzw. Organisationen eine gänzlich andere Form der Hierarchie. Rollen und Verantwortlichkeiten sind durchaus klar definiert, aber situativ allokiert, d.h. die Entscheidungsverantwortung für einen Teilbereich mag in einem Projekt anders gelagert sein als im nächsten. Tendenziell wird eher in Netzwerken und Kreisen entschieden; es gibt keine klassische Hierarchie-Pyramide. Teams sind keine starren Gruppen, sondern je nach Projekt und Zielsetzung anders zusammengesetzt. In agilen Organisationen gibt es durchaus auch Führungskräfte, welche aber eher im Rahmen des "Servant Leaderships" agieren, d.h. im Sinne einer "dienenden Führung". Im Fokus steht die Schaffung von Rahmenbedingungen für die Mitarbeitenden, mit denen es diesen ermöglicht wird, Bestleistungen zu erbringen.


  • Iterative, inkrementelle Arbeitsweisen und kontinuierliche Verbesserung
    Prozesse wie beispielsweise die Entwicklung neuer Produkte werden iterativ und mit vielen Testschleifen durchgeführt und in kleinere Inkremente wie beispielsweise Sprints geschnitten. So können Fehlentwicklungen schnell und risikoarm korrigiert werden. Während der Entwicklung kann kontinuierlich Kundenfeedback einfließen. Generell wird Wert auf konstruktives Feedback und schnelle Anpassung gelegt, beispielsweise durch Retrospektiven und Reviews. 


  • Transparenz, Kultur und Vertrauen
    In agilen Organisationen wird nicht auf Kontrolle gesetzt, sondern auf Kollaboration, Vertrauen und Transparenz. Dabei wird eine positive und vertrauensvolle Fehlerkultur gelebt. Klar definierte Rollen und Verantwortlichkeiten helfen dabei, dass die Mitarbeitenden sich aufeinander verlassen können, aber auch systemisch unterstützt in den gegenseitigen Wissensaustausch gehen. Dementsprechend ist es unabdingbar, dass alle Mitarbeitenden, auch die "Servant Leaders", tatsächlich eine agile Kultur leben. Sie kann ihre Wirkung nicht isoliert in einem einzigen Team entfalten.


  • Agile Methoden
    Agile Methoden und Praktiken wie beispielsweise Design Thinking, Scrum, Kanban oder OKRs (Objectives and Key Results) zielen darauf ab, dass Teams und Unternehmen komplexe Probleme oder Fragestellungen in iterativen Schritten in kollaborativer und partizipativer Art und Weise lösen. Transparenz und Kommunikation innerhalb der Teams, aber auch zum Kunden hin werden gefördert und neue Anforderungen können direkt berücksichtigt werden. Sie bieten trotz sich verändernder Geschäftsumfelder ein prozessuales bzw. methodisches Regelwerk.

 
Wie sich an dieser Vielzahl von Faktoren bereits ablesen lässt, funktioniert die Transformation zu einer agilen Organisation durch die tatsächliche Verankerung, durch das tatsächlich "Leben" des agilen Mindsets in einer Unternehmenskultur. Ein Unternehmen wird durch die Einführung einer vermeintlich agilen Organisationsstruktur nicht direkt tatsächlich agil, ähnlich wie eine Einführung von Lean-Tools eine Organisation nicht automatisch lean macht. Wie an den Faktoren ablesbar ist, ist der Grundgedanke von Lean Management - Fokus auf Kunden und Nutzer sowie Vermeidung von Verschwendung - auch im agilen Kontext höchst relevant.

Da agile Organisationen ihre Strukturen und Prozesse kontinuierlich an sich ändernde Rahmenbedingungen, neue Ideen und technologische Entwicklungen anpassen, ist es in diesem Umfeld schwierig, eindeutige Struktur-Archetypen wie beispielsweise funktionale Organisation, Matrixorganisation oder Spartenorganisation in den klassischen Organisationsformen festzulegen. Um jedoch einige hilfreiche Beispiele für agile Organisationen zu geben und die obige Beschreibung von agilen Organisationsprinzipien greifbar zu machen, gehen wir beispielhaft auf drei verschiedene agile Organisationsstrukturen ein.

Wir unterstützen Sie umsetzungs- und ergebnisorientiert
bei der ganzheitlichen Organisationsentwicklung

3.3.1 Spotify-Modell
Der schwedische Musikstreaming-Dienst Spotify startete ursprünglich mit der Anwendung von Scrum. Mit größerem Wachstum ging jedoch eine erhöhte Komplexität in der Produktentwicklung einher, die sich bei Spotify nicht mehr sinnvoll mit Scrum abbilden ließen. Daraufhin entwickelte Spotify eine eigene agile Methodik: das Spotify-Modell. Grundgedanke dabei ist, dass Mitarbeitende und Teams in Tribes, Squads, Chapters und Guilds unterteilt sind.

  • Squads sind dabei kleine Teams von ungefähr acht Mitarbeitenden, die relativ autonom an einer spezifischen Aufgabe für ein Produkt arbeiten. Pro Squad gibt es einen Product Owner. Dieser ist zum Einen für die Aufgabenpriorisierung des Squads zuständig und zum anderen das Verbindungselement zu anderen Squads. Pro Squad gibt es einen Product Owner. Dieser verwaltet den Backlog an zu bearbeitenden Aufgaben und vertritt die Stakeholder des Produkts, v.a. die Kunden und ihre Bedürfnisse.


  • Tribes setzen sich aus mehreren, themenverbundenen Squads zusammen, die insgesamt an verschiedenen Aspekten eines Produktes arbeiten. Tribes sind immer am selben Standort angesiedelt, um intensiv miteinander arbeiten zu können.


  • Chapters wiederum stellen Querschnittsgruppen von Mitarbeitenden aus einer Disziplin dar, die jedoch in unterschiedlichen Squads eines Tribes arbeiten. Pro Chapter gibt es einen Chapter-Lead, welcher die formelle Führungskraft der Mitarbeitenden eines Chapters ist. Chapters bieten außerdem eine Plattform zum Austausch über das eigene Squad hinweg, in welcher Mitarbeitende mit ähnlichen Aufgaben ihre Erfahrungen teilen und Fragen beantworten können.


  • Guilds bilden eher informelle Gruppierungen von Mitarbeitenden ab und können über Tribes hinweg gebildet werden. Im Gegensatz zu Chapters ist der Fokus hier nicht auf fachbezogene Themen und Fragestellungen gelegt, sondern eher von übergreifender Natur und bilden sich thematisch je nach Interessenslage der Mitglieder.

Abb. 16: Spotify-Modell

3.3.2 SAFe - Scaled Agile Framework
SAFe - Scaled Agile Framework - ist eine Möglichkeit, die Vorzüge von Scrum und agilen Prinzipien, DevOps und Lean nicht nur auf Teams, sondern ganze Organisationen zu übertragen. Besonders oft findet SAFe beispielsweise in der IT- und Software-Branche, in der Systementwicklung oder im Technology-Umfeld Anwendung, also in  Bereichen mit hoher Dynamik und komplexen Produkten. 

Weitere Scrum-Skalierungsmodelle finden sich beispielsweise in Frameworks wie Nexus, LeSS (Large-Scale Scrum) oder Scrum@Scale, die alle verschiedene Charakteristika sowie Vor- und Nachteile mit sich bringen. Wir werden uns in diesem Artikel beispielhaft auf SAFe beschränken und einen ersten Überblick geben.

SAFe ist ein sehr umfassendes Framework, das in vier verschiedenen Konfigurationen implementierbar ist:

  • Essential SAFe als Basis-Startvariante für kleinere Organisationen mit selektiven Auswahl an Rollen (z.B. Product Owner, Scrum Master oder Developer), Events (z.B. Sprints, Sprint Planning oder Daily Scrum) und Artefakten (z.B. Product oder Sprint Backlog). Dabei arbeiten bis zu 12 Scrum-Teams zusammen in einem Agile Release Train zusammen.


  • Large Solution SAFe für die Arbeit an größeren Produktlösungen, die mehrere Agile Release Trains, also mehrere Zusammenschlüsse von Scrum-Teams benötigen. Diese werden in Solution Trains zusammengeschlossen. Hierfür sind weitere Rollen im Vergleich zu Essential SAFe nötig, beispielsweise Solution Architect, Solution Train Engineer oder Solution Management.


  • Portfolio SAFe beinhaltet wie das Large Solution SAFe mehrere Agile Release Trains, die jedoch nicht unbedingt inhaltlich miteinander verbunden sind - es geht also eher um einen Portfolio-Gedanken im Sinne verschiedener Wertströme. Demnach finden sich hier zusätzlich strategische Organisationselemente wie beispielsweise eine übergreifende Governance oder Funding-Mechanismen.


  • Full SAFe ist als umfassende Kombination von Essential, Large Solution und Portfolio SAFe für große Organisationen geeignet, bei denen große, integrierte Lösungen erzeugt werden sollen.

 
Durch die cross-funktionale und agile Zusammenarbeit der Teams und Release Trains wird Silodenken verhindert und Flexibilität gefördert. Kunden werden aktiv miteinbezogen und die Wertschöpfung in den Vordergrund gestellt. Produkte können u.a. dank verbesserter Time-to-Market schneller und insgesamt auch effizienter entwickelt werden.

Abb. 17: Vereinfachte Darstellung des Scaled Agile Frameworks

3.3.3 Haier-Modell "RenDanHeYi"
Die Haier-Group ist ein chinesischer Großkonzern mit über 100.000 Mitarbeitenden, der auf Haushaltsgroßgeräte spezialisiert ist. Ursprünglich als Staatsunternehmen gegründet, hat Haier in einer radikalen Transformation in den 1990er Jahren ein eigens entwickeltes agiles Businessmodell aufgebaut. "RenDanHeYi" bedeutet sinngemäß übersetzt "Menschen kommen zusammen, um ein Ziel zu erreichen".

Haier setzt sich aus grob 4000 Mikrounternehmen zusammen, welche gemeinsam die Wertschöpfung erbringen, aber autonom voneinander und selbstorganisiert arbeiten. Dabei ist der größere Teil der Mikrounternehmen als interner Dienstleister bzw. Servicebereich in sogenannten "Knotenpunkt"-Mikrounternehmen tätig, beispielsweise in den Bereichen um Design, Produktion oder Vertrieb. Diese unterstützen in Mikronetzwerken den kleineren Teil an Mikrounternehmen, die direktem Kundenkontakt haben und Produkte und Services für die Kunden entwickeln. Interne Netzwerke bzw. Marktplätze zwischen den Mikrounternehmen gewährleisten Wissensaustausch, Effizienz und übergreifende Innovationen.

Durch diesen klaren Kunden- und Innovationsfokus ist Haier imstande, sehr schnell auf neue Kundenwünsche und Marktentwicklungen einzugehen und die Nutzererfahrung stetig zu optimieren.

Abb. 18: RenDanHeYi bei Haier

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Laura Zöller, Partner bei der Siventus Unternehmensberatung, Portrait

Über die Autorin

Laura Zöller, Partner

Laura Zöller ist Co-Founder und Partner der Siventus Unternehmensberatung mit langjähriger Erfahrung in namhaften Konzernen und in der Beratung. Als Expertin für Business Excellence mit den Schwerpunkten Organisationsentwicklung, Prozessoptimierung und Kostensenkung, hat sie zahlreichen Unternehmen verschiedener Branchen im In- und Ausland zu höherer Wettbewerbsfähigkeit und größerem Unternehmenserfolg verholfen.